Foto: Diana (Susanne Engelhardt) mit ihrer Familie und dem Doc / Bildrechte: Mittelsächsisches Theater, Janine Haupt

Gleich vorweg: Der Mut, dieses Stück in Freiberg auf den Spielplan zu setzen, wurde zur Premiere am 4. November 2023 mit tosendem Applaus und stehenden Ovationen belohnt.

Das Musical ist ein durch und durch amerikanisches Stück. In einem Land, in dem man so selbstverständlich zum Psychotherapeuten wie zum Friseur geht, sind Psychiater beides: Fluch und Segen. Wir lernen Dr. Fine im kleinkarierten Anzug und Dr. Madden als egozentrischen Rockstar mit königlich roten Schuhen kennen – beide mit einem Augenzwinkern dargestellt von Alexander Donesch. Wenn bei der Behandlung mal was schiefgeht – die Natur hilft sich schon irgendwie, so wie nach einem missglückten Friseurtermin die Haare ja auch wieder wachsen.

Diane beim Psychiater

Der Psychiater als Rockstar / Rechts Gabriel auf der Himmelsleiter
Bildrechte: Mittelsächsisches Theater, Janine Haupt

Das ist eine der Botschaften des Abends: Das Leben sucht sich einen Weg – es übersteht sogar den Einsatz von Medikamenten und fragwürdigen Behandlungsmethoden. Übrigens kommt die moderne Medizin nicht besonders gut weg: Ein acht Monate altes Kind stirbt aufgrund einer Fehldiagnose, die Mutter wird erst mit Pharmaka abgefüllt und dann wird ihr Gedächtnis mit Stromschlägen gelöscht. Und das alles, um was zu erreichen? Ein Familienbild aufrecht zu erhalten, dass schon immer eine Fiktion war? Diana, die Mutter um die es geht, wollte weder das Familienleben noch die frühe Hochzeit, der erstgeborene Sohn hielt von Anfang an alles zusammen, war Zentrum und Projektionsfläche zugleich. Wunderbar gespielt und gesungen von Yannick Gräf, der eine so unheimliche Präsenz ausstrahlt, dass man sich als Zuschauer fragt, ob er tatsächlich tot sein kann. Die USA sind ja nicht nur ein Ort der Hochtechnologiemedizin, sondern tragen auch das Erbe all der schamanischen und indigenen Heilungsmethoden, eine spirituelle Art zu trauern und Seelen zu verabschieden. Auch davon erzählt das Stück. Genauer gesagt, lässt Ulv Jakobsen den toten? Sohn ständig auf einer Treppe zwischen Himmel und Hölle auf- und abspringen, das Universum im Hintergrund.

Überhaupt funktioniert das Bühnenbild wunderbar, zwei parallel arbeitende Drehbühnen decken den ganzen Kosmos des Musicals minimalistisch ab. Und weil das Stück zeitlos ist, fehlen der Küchenuhr die Zeiger.

Patrick Imhof als Vater Dan, Anna Burger als Tochter Natalie und Angus Simmons als deren Freund Henry bildeten mit Schauspielkunst und stimmlichem Einsatz ein wunderbares Netz für den Star des Abends: Susanne Engelhardt. Sie gab ihrer Figur die filigranen und die rockigen Tonlagen, lehnte sich zerbrechlich an ihren Mann, tanzte mit ihrem Sohn einen innigen Walzer (meine Lieblingsszene), ermutigte ihre Tochter, einen eigenen Weg zu finden. Susanne Engelhardt war alles: stark und verunsichert, liebevoll und selbstbestimmt. Es hätte wohl kaum ein passenderes Stück gegeben, um ihr doppeltes Bühnenjubiläum zu feiern. 40 Jahre auf der Bühne, 30 davon am MIT. 

Susanne Engelhardt

Noch ein Wort zur Musik. Es fehlen die großen Schlager, doch der Gesang, der die Handlung vorantreibt, fühlt sich organisch an und verleiht dem Text eine emotionale Dimension. FAST NORMAL ist keine Aneinanderreihung von Textfragmenten und Tanzszenen, sondern ein Fluss, der einen von Anfang bis Ende mitreißt. José Luis Gutiérrez hatte Sänger und Band fest im Griff, die Aussteuerung des Sounds hörte sich im zweiten Teil des Abends schon besser an und wird mit ein bisschen Finetuning das nächste Mal perfekt sein.

Wer den Broadway erleben will, lässt sich FAST NORMAL nicht entgehen.