Werther in seiner sich eintrübenden Glaszelle
Im Alter von 25 Jahren schrieb Goethe seinen Briefroman-Bestseller Die Leiden des jungen Werther, einen europaweiten Verkaufsschlager.
Der Werther war ein Rundum-Phänomen: Er verhalf der Gattung Briefroman zum Durchbruch, begründete einen Modestil (gelbe Weste, blaue Jacke) und trieb einige Jünglinge in den Freitod.
So eine Dreiecksbeziehung liefert ja auch heute noch den Stoff, aus dem die Dramen sind. Und eigentlich kann sich ein Theater mit dem Werther auf der sicheren Seite wähnen.
Zur Erinnerung: Werther ist unglücklich verliebt in Lotte, die ihrer Mutter auf dem Sterbebett versprach, Albert zu ehelichen. Lotte ist hübsch und schlau und fürsorglich – kurzum der Jason Bourne des 18. Jahrhunderts. Oder anders gesagt, eine ideale Projektionsfläche für allerlei Fantasien, ein Engel, der auch den Abwasch macht.
Party zu dritt
Nun also die Freiberger Premiere am 20. April.
Und was soll ich sagen, es war sehr spannend! Zum Publikumsmagneten und Zentrum des Stücks avancierte nämlich Albert, der eigentlich alte, konservative Ehemann Lottens. Andreas Pannach gab diese Figur mit so viel Einfühlungsvermögen und Gespür für Goethes Sprache, dass sich das Publikum kurzerhand umentschied. Diesem Albert gönnte man seine Lotte, und dass Werther sich am Ende ins Reich der Fantasien befördert, mutierte nahezu zur Erlösung.
Regie, Bühnenbild und Videoprojektion waren wie so oft im Freiberger Theater brillant, einfallsreich, klug und modern.
Wer ein wenig um die Interna des Ensembles weiß, kann umso mehr würdigen, in welch kurzer Zeit dieses „Ersatzstück“ auf die Bühne gebracht wurde.
Für ein nächstes Ersatzstück wünsche ich mir persönlich, dass die Strategie, aus der Not eine Tugend zu machen, noch mutiger umgesetzt wird. Vielleicht hätte man Natalie Heiß den Werther spielen lassen sollen?
Werther hat eine gelbe Weste, Albert hat Spaß.
Jedenfalls weiß Werther: Wenn wir immer ein offenes Herz hätten, das Gute zu genießen, wir würden alsdann auch Kraft genug haben, das Übel zu tragen, wenn es kommt.
Oder Nicky( Julia Stiles) zu Jason Bourne (Matt Damon): Es ist wichtig, unglaublich wichtig!
Bourne: Es ist nur wichtig, am Leben zu bleiben!
Fotos: Detlev Müller, Mittelsächsisches Theater