Peter Pan und die Nimmerland-Truppe

Peter Pan und Tinker Bell

Tinker Bell und Peter Pan am Kinderzimmerfenster der Darlings

Peter Pan und Captain Hook kämpfen um eine Mutter

Peter Pan und Captain Hook kämpfen um eine Mutter

Captain Hook und seine Crew

Captain Hook und seine Crew

Schlussapplaus

Zum Schlussapplaus freuten sich alle über die gelungene „Zweitpremiere“

Kriebstein. Nachdem Peter Pans Flug Richtung Nimmerland beim ersten Versuch vorzeitig und nass endete, zog die „Zweitpremiere“ alle Register. Das Ensemble und die Sonne strahlten um die Wette, verbreiteten gute Laune und Ferienstimmung. Stephan Bestier und Catharina Jacobi hatten einen Sommercocktail aus spritzigen Dialogen, Gags, Musik- und Tanzeinlagen gemixt, der den Praxistest am jungen Publikum mühelos bestand. 

Vor etwa 120 Jahren entsprang der Feder des britischen Schriftstellers James Matthew Barrie die Figur „Peter Pan“. Barrie würdigte mit seinen Erzählungen um den kleinen weißen Vogel, wie er ursprünglich hieß, die grenzenlose kindliche Fantasie. Gleichzeitig schwang auch Trost mit: Zu Zeiten hoher Kindersterblichkeit sollten Eltern ihren Frieden bei der Vorstellung finden, Peter Pan hätte ihre Kleinen ins Nimmerland eingeladen, wo sie immerzu spielen und herumtollen können und niemals erwachsen werden müssen. Die subtile Strahlkraft entfaltete sich in Barries Erzählungen als Gegenentwurf zur viktorianischen Strenge. Königin Victoria regierte von 1837 bis 1901, war Kaiserin von Indien. Das Leben als Untertan verlief in der Regel ohne großes Amüsement. Peter Pan wurde zum Sinnbild des Realitätsverweigerers, wie 40 Jahre später auch Pippi Langstrumpf in Schweden. Und so verwundert es nicht, dass das Mittelsächsische Theater in seinem Kinder-Sommer-Stück eigentlich Peter Pan und die als Wendy verkleidete Pippi Langstrumpf auf die Seebühne bringt. Eine Prise Nimmer- und  Taka-Tuka-Land, dazu Sambarhythmen mit Tanz und Gesang ergeben eine explosive Gute-Laune-Mischung.

Im fantasievollen Bühnenbild von Tilo Staudte spielen und raufen sich zu Beginn die Londoner Darling-Kinder Wendy (Nele Schweers), John (Emery Escher) und Michael (Milon Goetz). Schwertkämpfe werden mit halbtransparenten Kinderschirmen ausgetragen, John übt Yogafiguren, die slapstickverwandten Wendungen funktionieren super und ernten herzliche Lacher. Dann klatscht ein – obwohl rabenschwarzes – Highlight ans Kinderzimmerfenster: Peter Pans Schatten. Cornelia Wöß entlockt dem stummen Schatten ein gelegentliches Quietschen und inszeniert die „Nichtfigur“ mit Körperspannung und Beweglichkeit als komödiantischen Auftritt. Obwohl im Nimmerland alle coolen Sachen mit P beginnen: „Peter Pan, Piraten, Pupskissen“, will der Schatten ausbüchsen. Peter Pan erwischt ihn und erntet vom eigenen Schatten eine Ohrfeige. Kichern im Publikum. Auch Tinker Bell (Natalie Renaud-Claus) mischt inzwischen mit, gibt sich naseweis und bezaubernd stachelig. „Tink“ und Wendy sind von Anfang an Konkurrentinnen, wenn es um Peters Gunst geht. Alle schöpfen gemeinsam aus der Erfahrung mit nicht aufgeräumtem Spielzeug und singen eine schmissige Nummer: „Meine Sachen kriegen Beine, wenn ich schlaf“. Per Feenstaub und Trampolin fliegen alle gemeinsam ins Nimmerland, mit zu Flügeln ausgebreiteten Armen tanzen die Schauspieler eine Polonaise über die Bühne und durchs Publikum. Überhaupt wird die gesamte Fläche der Bühne klug und abwechslungsreich genutzt, oben, unten und auf der Treppe, links das Piratenschiff „Jolly Roger“, rechts das Baum- und Klettergerüst. Die untere Etage wird im Hintergrund von elastischen grasbedruckten Lamellen abgespannt, die einen prima Wald abgeben, in dem man auch verschwinden kann.

In Nimmerland angekommen, machen sich alle bekannt: die verlorenen Kinder (dargestellt vom Theaterjugendclub), das Krokodil (Peter Peniaška)  und Tiger Lily (nochmal Cornelia Wöß) reihen sich ein in den bunten Reigen. Man kommt überein, dass Freiheit eine feine Sache ist, aber eine serviceorientierte Mutter hätte man schon gern. Wendy wird per Kuschelattacke emotional überrumpelt und müht sich ab hier mit dem Muttersein. Die Inszenierung lässt allerlei Lob über Mütter sprechen, ihre Selbstaufopferung, Hingabe, Geduld und Fürsorge. Captain Hook meint, auch er hätte das mütterliche Rundum-sorglos-Paket durchaus verdient und beschließt, Wendy zu entführen. Das Geschehen wird regelmäßig durch mitreißenden Gesang unterbrochen. Während sich Captain Hook und Peter Pan duellieren, geben Wendy und die Fee Cheerleader mit Fellpuscheln. Eine Tanznummer ist nach Streetdance-Art choreografiert, die Anführer bluffen sich gegenseitig an, die Gruppe dahinter doppelt alle Bewegungen. Eine bunte Mischung aus Schauspiel und Sportbildern (Blöcke, Runden, Abklatschen) sorgt für immer neue Konstellationen und machen die Aufführung zu einem kurzweiligen Erlebnis. Captain Hook (Yannik Gräf) und Gentleman Starkey (Juschka Spitzer) näseln hanseatisch und geben sich schillernd-elegant. Der Schiffskoch Smee (Boris Schwiebert) nutzt seinen Kochtopf als Trommel, auch deshalb verlangt Captain Hook nach einer (in der Küche versierten) Mutter. Gentleman Starkey meint, sie kämen auch ganz gut ohne Eltern zurecht, Tinker Bell sieht das ebenso, und Wendy findet das Dasein als Mutter ohnehin zu anstrengend, so sortiert sich am Ende alles wieder auseinander. Es gibt ein letztes Abenteuer, ein Aufeinandertreffen von Hook und dem tickenden Krokodil. Wie das ausgeht wird hier so wenig verraten, wie die illustre Vorgeschichte der beiden. Die Peter-Pan-Inszenierung auf der Seebühne befreit sich von jeglichem Ballast. Das Krokodil und Captain Hook sind nicht einmal ansatzweise böse oder furchteinflößend, auch das Leben der Darlingkinder ist offenbar ein großer Spaß, und die Eltern adoptieren am Ende selbstverständlich alle verlorenen Kinder aus dem Nimmerland. Wer eine Geschichte über Kindheit und Erwachsensein erwartet hatte, ging leer aus. Dafür gab’s jede Menge Sommerspaß und positive Vibes für alle Zuschauer ab 5 Jahren. Die Kostüme von Barbara B. Blaschke sind ein echter Hingucker, bunt, fantasievoll und witzig bis ins Detail. Oder weshalb tragen alle Crocs, während sie vor Krok davonlaufen?

„Peter Pan“ läuft bis zum 16. August 2025

Foto vom Schlussapplaus: Elke Hussel; alle anderen Fotos: Detlev Müller/MIT