Benjamin Bernheim als Dichter Hoffmann erzählt die Legende von Kleinzack, Bild: Karen Almond/MET Opera
Die MET startet im rosaroten Opern-Rausch in die Live-Saison 24/25. Freiberg ist dabei.
Wenn Hoffmann in der Inszenierung von Bartlett Sher erzählt, hilft alles Augenreiben nichts. Das Publikum verfällt der Magie aus Musik und Meisterschaft. Ein Mann und seine Muse singen durch einen fantastischen Abend.

Thomas Erler verbindet mit dem Live-Streaming aus der MET das Beste aus Kino- und Opernwelt, Bild: Elke Hussel
Freiberg. 5.10.24. Wo beginnen? Vielleicht mit dem Blick auf Benjamin Bernheim, DEM französischen Startenor. Bekannt von der Abschlußzeremonie der Olympischen Spiele im Stade de France, wo er die Welt mit Faurés „Hymne à Apollon“ begeisterte. Nun also die Rolle des Dichters Hoffmann, der von seiner fortwährend unerwiderten Liebe erzählt, mit warmer runder Stimme, innig gebunden, verzweifelt, mitreißend. Die Amerikaner lieben ihn für seine perfekte Aussprache und weil er als Franzose von jenem Kontinent stammt, dessen Musik und Dichtkunst die Opernwelt beherrschen. Als Zehnjähriger sah Bernheim ein Video von „Hoffmanns Erzählungen“ mit Placido Domingo. Er gab seiner Stimme Zeit zu reifen und sang seit 2021 die Titelrolle in Hamburg, Paris, Salzburg und nun an der MET. Jede Note, jede Geste zur Perfektion erprobt und mit Hingabe vorgetragen. Genuss pur!
Die Regie von Bartlett Sher schöpft aus der Opulenz der MET – Chor, Ballett, Bühne: alles beeindruckend groß. Nur das minimalistisch Bühnenbild im mittleren Antonia-Akt erlaubt eine Verschnaufpause. Die Grundidee der Inszenierung bleibt nah an E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“. Die schwarz-romantische Novelle erzählt vom Wissenschaftler Spalanzani, der das singende und tanzende Automatenmädchen Olympia erbaut. Coppelius liefert dafür die Glasaugen und verkauft dem Olympia-Verehrer von gegenüber eine Optik, die die Realität sanft einfärbt und ihn in Liebe entflammen lässt. Die Erzählung spielt mit (optischen) Perspektiven, lotet die Grenze zwischen Fantasie und Wahn aus. Augen sind optische Geräte, Spiegel der Erkenntnis, verbinden innen und außen, erlauben einen Blick in die Seele. Die Schauerfigur Sandmann, die den Blick trübt und von der Wirklichkeit abkoppelt, ist übrigens der Vorläufer der Puppe mit Spitzbart und Zipfelmütze, die heute Kinder mit Sand in eine gute Nacht und süße Träume schickt.

Pretty Yende als Antonia und Christian Van Horn als Dr. Mirakle, Foto: Karen Almond/Met Opera
Die Handlung der Oper von Jacques Offenbach kurz und knapp:
Akt 1 Olympia: Mädchen, Marionette, Metaphysik
Akt 2 Antonia: Melancholie, Mirakel, Mord
Akt 3 Giulietta: Maskerade, Mammon, Männerseele
Der Rest ist alkohollastige Rahmenhandlung

Christian Van Horn singt alle vier Bösewichte in Hoffmanns Erzählungen, Foto: Karen Almond/ Met Opera
Dreieinhalb kurzweilige Stunden mit rosaroten Bildern – denn Hoffmann trug ja eine rosa Zauberbrille – entflammten das Publikum. Augen auf Schirmen, ein Flammendrachen, der sich im Spalanzani-Zirkuszelt von der Decke schlängelte, blaue Augen in Bonbonieren, spärliche und opulente Kostüme – alles variierte das Thema Ein- und Ausblicke, Sehen und gesehen werden.
Apropos. Bevor das Streaming in Freiberg begann, standen die Besucher mit einem Getränk des Hauses an Stehtischen in weißen Hussen und stimmten sich in einer Art Meet & Greet auf den Abend ein. In den zwei Pausen hatte das Kino auch für einen Imbiss gesorgt, es gab Wiener oder ganz opernlike Laugenbrezel mit Dip. Und natürlich allerlei Getränke wie auch in der Rahmenhandlung von „Les contes d’Hoffmann“ in einem Berliner Weinkeller.
Nochmal zur verschwenderische Fülle der MET: Wo Jacques Offenbach eine Sopranistin für vier Frauenrollen verlangt, singen in NewYorkCity drei Meisterinnen ihres Fachs. Selbst die kleinste Rolle ist perfekt besetzt, wie die des Dieners Franz, der komödiantisch und mit ausgefeilter Technik darüber singt, dass er leider nicht singen könne. Zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort wäre Aaron Blake damit der Star des Abends gewesen. Erin Morley gab der Olympia mit ihrem Koloratursopran noch einige Extratöne in der Höhe, wohin man auch sah, Superlative überall.
Wie man im livegestreamten Pausenprogramm erfahren konnte, ist genau dies selbstgewählter Auftrag der MET: Oper als Kunstform neu auszuloten, zukunftsfest zu interpretieren, Standards nach oben zu treiben.
Mit „Grounded“ wird dieses Konzept noch im Oktober sehr modern umgesetzt. Die zweifache Tony-Award-Gewinnerin Jeanine Tesori schrieb extra für die Stimme von Emily D’Angelo eine Oper, die wie Offenbachs Musik die Balance zwischen Menschlichkeit und Technik behandelt. Was dem Hoffmann eine Automatenpuppe, ist 2024 unbemanntes militärisches Fluggerät. Wir sehen uns am 19.10.24 im Kino.
Weitere Termine der MET live in HD: 19.10.24 Grounded, 23.11.24 Tosca, 25.1.25 Aida, 15.3.25 Fidelio