Emily D’Angelo als Kampfpilotin Jess. Bild: Paola Kudacki/MET Opera
Die MET setzt ihre Live in HD-Reihe mit Grounded fort.
Nennen wir es Oper. Mit Grounded schickte die MET am Samstag im Livestream ein explosives multimediales Crossover in die Welt und nach Freiberg.
Jess in der AirForce, Foto: Scott Suchmann/ Washington National Opera
Freiberg, 19.10.24. Grounded gehörte zu den Vorstellungen der Live-in-HD-Reihe, die Kinos in dieser Spielzeit abwählen konnten. Der mutigen Entscheidung von Thomas Erler verdanken wir Freiberger einen beeindruckend emotionalen Kinoabend. Was da auf der Leinwand geschah, kann man Oper nennen. Tatsächlich wurden die Genregrenzen mit der Inszenierung des Einfrauenbühnenstücks von George Brant neu ausgelotet. Wie immer agierte jede Disziplin für sich auf höchstmöglichem Niveau und das Zusammenspiel folgte einem kunstvollen Arrangement.
Doch von vorn.
Wer das Libretto von George Brant kennt, konnte sich im Vorfeld schon fragen, wie dieser Sprachstil und die MET zusammenpassen sollen. Nie und nimmer. Einerseits ironische Sprachfragmente, technisierte karge Worte, deren Charme sich aus dem Weglassen entfaltet. Andererseits die MET mit ihrer überbordenden Überwältigungsstrategie.
Der Commander vor der Reaper-Drohne. Eric, der Rancher aus Wyoming, und Jess. Foto: Ken Howard/Met Opera
Die Antwort ist leicht: Beide Stücke haben nur entfernt etwas miteinander zu tun. Gemeinsam fokussieren sie den aktuellen Themenkosmos der hybriden Kriegsführung. Geschärft durch den Umstand, dass da eine Frau am Drücker sitzt, nicht minder stolz, Teil der AirForce zu sein, ÜBER den Normalos in den blauen Weiten zu agieren. Selbst nach ihrer Versetzung in die ChairForce bleibt sie Göttin der Lüfte, entscheidet über Leben und Tod.
Visuell erschloss sich das instinktiv, denn die Bühne war in drei horizontale Ebenen gegliedert, die beiden oberen bestanden aus insgesamt 400 LED-Monitoren. Die mittlere Monitor-Ebene war gleichermaßen Projektionsfläche und bodenloser Boden. Als das Ballett die in Zeitlupe durch die Luft wirbelnden Körper nach einer Explosion tanzte, hielt das Publikum den Atem an. Das grau-weiße Licht der Monitore ließ die Tänzer im Nichts herumfliegen. Alles untermalt von psychedelischen Klängen aus dem Off. Zweifellos beherrscht Jeanine Tesori ihr Handwerk, ihre Musik war atmosphärische Zauberei: Der schlagzeuglastige Truppenchor Bum, Bum, Bagdad, Erics Schlaflied ohne Orchesterbegleitung, die filmmusikgleichen Landschaftsmalereien in Wyoming, die atmosphärischen Klänge von Luftwirbeln. Die emotionale Wirkung entfaltete sich aber erst im Zusammenspiel mit Gesang, Lichtregie und Nahaufnahmen. In den lyrischen, fast zärtlichen Chorpartien, wenn Explosionen irgendwo weit entfernt alles zu Sand zerstäuben. Den Monitoren gelang es, die zweifellos technische Anmutung (Bedienterminal, Gries, Grau, Flackern) zeitweise in analoge Beruhigung zu transformieren (horizontale Streifen für die Weite in Wyoming, klarstes erhabenes Himmelblau).
Die unglückliche Familie, Foto: Ken Howard/ Met Opera
Es war ein Abend der Gegensätze. Schwangerschaft und Tod. Kampfpilotin und Mutter. Eric, dem Ehemann, ergeht es nicht besser. Er, ein naturverbundener Rancher, findet sich im Polyester-Outfit am Spielkasinotisch ohne Tageslicht wieder. Was in Las Vegas geschieht, bleibt in Las Vegas. Beide sind beruflich der Geheimhaltung verpflichtet; schlecht für die Beziehung. Was letztlich zur posttraumatischen Belastungsstörung führt, bleibt offen. Es ist das Zuviel. Von allem.
Emily D’Angelo trägt mit ihrem ausdrucksstarken Mezzosopran den Abend. In einem Walkürenritt singt und spielt sie zweieinhalb Stunden lang alle an die Wand. Dabei erinnert ihre Partie oft an Wagner: hoch, lang, laut und emotional national. Durch den Kniff ihres Alter Egos, besetzt mit der Sopranistin Ellie Dehn, tritt ein, was sie besingt: Ich schwebe über mir.
Der Metropolitan Opera gelingt mit diesem Abend, was die MET ausmacht: auch die schwierigsten Themen der Zeit unterhaltsam und am obersten Limit des künstlerisch Machbaren zu präsentieren. Wer wollte, konnte unter dem Eindruck des Kinoerlebnisses über die Unvereinbarkeit von Soldatenethos und Mutterschaft nachdenken, über die Schizophrenie der virtuellen Kriegsführung, über den Gegensatz von gewaltiger Natur und engen menschengemachten Räumen ohne Tageslicht.
Oder man ergab sich der emotionalen Überwältigung, versüßt mit dem Zuckerguss der Perfektion.
Nächste Termine: 23.11.24 Tosca, 25.01.25 Aida