Lindsay Funchal als Überfliegerin Mariza, Foto: Detlev Müller

Graf Tassilo und Schwester Lisa klettern im Peter-Pan-Baumhaus, Foto: Detlev Müller

Populescu und Mariza, Foto: Detlev Müller

Die Erbtante als verrücktes Huhn, Foto: Detlev Müller

Regisseur Alexander Donesch, Foto: Elke Hussel

Schlussapplaus, Foto: Elke Hussel
Puszta, Party, Plattensee
Auf der Seebühne Kriebstein feierte Gräfin Mariza das ungarische Leben und ihre Premiere.
Mit der Inszenierung eines zweiten Sommerstücks auf der Seebühne feiert das Mittelsächsische Theater eine magische Puszta-Party und wächst über sich selbst hinaus. Die Inszenierung von Alexander Donesch setzt dabei auf die Verbindung von Sehnsucht, Musik und Schicksal. Gleich mit den ersten Takten wird dies deutlich: Manja, eine junge Zigeunerin (Heain Youn), singt schon während der Ouvertüre ihre Wahrsagerei und zieht dabei von oben unsichtbare Strippen des Schicksals. Unter ihr tanzen drei Paare und Mariza in feenhafter Balatontracht und beschwören die Erinnerung an ungarische Tradition und vergangene Zeiten.
Nach dem Welterfolg der „Csárdásfürstin“ (1915) stand Emmerich Kálmán unter erheblichem Erwartungsdruck. Doch erst 1923 wagte er sich an sein nächstes großes Werk. „Gräfin Mariza“ entstand in einer Zeit, in der Europa noch im Schatten des Krieges stand, aber die Bühnen wieder nach Glanz, Tanz und Trost verlangten. Mariza tanzt zwischen Monarchie und Moderne, feiert das Leben, kennt aber auch die Schatten. Kálmán fuhr alles auf, was in der Csárdásfürstin grandios funktioniert hatte: Gutshöfe, Zigeunermusik, feurige Tänze, starke Frauenfiguren, Männer mit Geheimnissen, Witz und Wehmut – und unter allem ein musikalischer Teppich zwischen Walzer und Csárdás mit frischen Einschüben beliebter 20er Jahre Tänze wie Foxtrott, Shimmy oder Boston. Donesch und José Luis Gutiérrez (musikalische Leitung) kürzten gekonnt und fügten ganz im Kálmán-Stil sehr heutige Elemente ein. Da schleicht Fürst Populescu dem alten Diener Tschekko zur Melodie des rosaroten Panthers hinterher, und während über dem Dorfbrunnen die Discokugel ausgepackt wird, grooven den Wandbildern entstiegene Götter in Glitzerfummel durch die Nacht.
Die Kostüme von Barbara B. Blaschke stehen der Musik in Sachen Opulenz in nichts nach. Über vierzig Akteure liefern eine Modenschau zwischen Tracht, Tagesoutfits der 1920er und funkelndem Taftgewand. Blaschke schafft den Spagat zwischen dicker Hose und Kleidern aus Sommerwind. Allein Gräfin Mariza wird durch acht Kostüme charakterisiert: Sie ist Jägerin mit Gewehr und Federhut, Elfe in folkloristischem Organza, Fallschirmspringerin in Hose mit Weste, Sehnsucht im Brautkleid, Grand Dame in wechselnden Abendroben, moderne Verwalterin im knielangen Gestreiften. Lindsay Funchal verleiht ihrer Mariza Stimme und Zauber. Zwischen Prinzessin und Dirigentin trägt sie den Abend mit einer strahlenden Leichtigkeit.
Oliver Huttel gibt den Tassilo zwischen Ehre und Emotion. Mit den ungarischen Tänzen fremdelt er ein wenig – aber fürs Herz braucht man keinen Csárdás, sondern Stimme. Und die hat er. Frank Blees als Fürst Populescu hat seinen Schnurrbart so elegant gezwirbelt wie seine Pointen. Seine Selbstironie schillert wie ein Tokajer im Abendlicht. Hans Kittelmann als Koloman Zsupán liefert Stimme und Humor. Der „Schweinezüchter“ aus dem „Zigeunerbaron“ von Johann Strauss (Sohn) dient ja eigentlich nur der Paarungsvermeidung, führt aber immer wieder die tieferen emotionalen Momente zur Leichtigkeit zurück. Julia Domke als Tassilos Schwester Lisa singt klar wie ein Balatonmorgen und spielt ihren ungarischen Sommernachtstraum. Gregor Roskwitalski alias Liebenberg brettert mit Seifenkiste und Wiener Schmäh in die Szenerie und sorgt mit seinem Spiel und Gesang für Paprika-Würze. Marius Marx als Tschekko bedient mal im Stil von „Dinner for One“, verkörpert mehr als alle anderen die gute alte Zeit und hat doch die Lacher auf seiner Seite. Und dann geht er auch noch baden. Wortwörtlich. Spät, aber effektvoll flattert Fürstin Bozena in die Szenerie. Nicht nur Lia Burgers Kostüm erinnert an ein verrücktes Huhn, sie gibt die skurrile Erbtante mit jugendlicher Aura, schlägt drei Räder auf der Bühne und liefert ein Großtanten-Feuerwerk. Ein starkes Ensemble tanzt um Salami, Tokajer und Tabarin. Mal folkloristisch, mal elegant-wienerisch, immer mit Grazie und Herzblut.
Am Ende finden sich drei glückliche Paare, niemand stirbt und die Zuschauer nehmen Puszta- Ohrwümer mit nach Hause.
Noch ein Wort zum „Zigeuner“: Was den Deutschen der 1950er Jahre ihr „Italien“ – Traum war, ist zu Kálmáns Zeiten ein Ausdruck der Sehnsucht. Mit dem Zigeunerleben wird Freiheit und Selbstbestimmtheit assoziiert. Dass die Texte „Komm, Zigan“ oder „Braunes Puszta-Mädel“ so belassen werden, zeugt von Souveränität der Inszenierung und passt perfekt in die Peter-Pan-Kulisse von Tilo Staudte, die mit nur wenigen Veränderungen super für das Plattenseeflair funktioniert. Dabei hilft die Lichtregie, die alles in die Nationalfarben rot, weiß, grün taucht – ein leuchtendes Bekenntnis zum ungarischen Geist der Operette.
Aus dem Experiment, zwei Sommerstücke parallel auf die Seebühne zu bringen, wurde ein temperamentgeladenes Feuerwerk. Es erzählt mit „Peter Pan“ von der Sehnsucht der Kleinen und feiert mit „Gräfin Mariza“ das feurige Verlangen der Großen.
Gräfin Mariza wird auf der Seebühne Kriebstein bis zum 31. August 2025 gespielt.