Lindsay Funchal, GMD Attilio Tomasello und die neue 1. Konzertmeisterin Joanna Kasperczyk-Adamaek

Glück verdoppelt sich, wenn man es teilt. Wer das Sinfoniekonzert der Mittelsächsischen Philharmonie besuchte, weiß, Musik funktioniert ähnlich. Und vielleicht ist der Faktor sogar höher als zwei.

Joanna Kasperczyk-Adamek mit zwei unterschiedlich gestimmten Violinen

Das Kontrafagott lehnt lässig an der Wand und wartet auf seinen Einsatz als Biest

GMD Attilio Tomasello und die 1. Konzertmeisterin

Prof. Arnold Beck überreicht vom Theaterverein gesponserte Blumen

Freiberg, 26.9.24. Der Abend begann in der vollen Nikolaikirche mit dem „schlauen Füchslein“ nach einer Oper von Leoś Janáček.

Zur Uraufführung 1924 in Brünn zählte der Komponist bereits 70 Lenze, seine Geburt im östlichsten Zipfel von Tschechien, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, lag also schon eine Weile zurück. Genug Zeit, um den Sound von Flora und Fauna zu studieren, den Rhythmus des Waldes, mährischen Volkslieder, die Melodie der tschechischen Sprache. Man könnte behaupten, dass sich all seine musikalischen Vorlieben in eben dieser spätimpressionistischen Oper vereinen. Die Handlung erzählt aus dem Dorfleben und von der Fuchsfamilie, von kindlichem Schabernack und den Zumutungen des Lebens, vom ewigen Kreislauf der Natur, dem „Circle of Life“, wie ihn Elton John über 70 Jahre später im „König der Löwen“ besingen wird.

Neun Jahre nach Leoś Janáčeks Tod kommt der erste Akt als Orchestersuite in die Konzertsäle, wofür einmal mit dem romantischen Bügeleisen über die Partitur gefahren wird. In der Oper hört man, dass eine Mücke durch den Wald sirrt und überlegt, ob der schlafende Förster ein lohnendes Ziel sei. Dass der Frosch Gleiches von der Mücke und das Füchslein vom Frosch denkt. Wie der panische Frosch dem Förster ins Gesicht springt.

In der Orchestersuite blitzen die musikalischen Charaktere seltener auf. Mücke: check. Grobschlächtiger Förster: check. Ansonsten eher wogender Teppich, der aber wunderbar auf den zweiten Akt des Abends hinführte.

Nämlich zu Ravel. 33jährig und von einer Märchensammlung inspiriert verfasste er 1908 für die Kinder seines Freundes eine Klaviersuite, auf deren Grundlage 1911 eine Orchesterfassung entstand: Ma Mère l’Oye (Mutter Gans). Am Donnerstag konnte man hören, dass das kein bloßes Auftragswerk war, sondern irgendwie Ravel selbst. Maurice Ravel, der Miniaturen, Porzellanfiguren und Bonsaibäume liebte und selbst nur 1,58 Meter an die Messlatte brachte. Seine Begeisterung für das Kindliche, Grazile, das Schweben in einer mystischen Märchenwelt, in der alles ein gutes Ende findet. Ravelsche Melodien und Klangeffekte erwecken bekannte Märchenfiguren zum Leben. Im trägen ersten Satz schläft Dornröschen. Danach durchstreift der kleine Oboen-Däumling den Wald, wobei er einige Flöten-Vögel aufschreckt. Fernöstlich zeigt sich die missgelaunte Kaiserin, die im Land der Pagoden über Porzellanminiaturen(!) herrscht. Inmitten von Fünftonreihen, Schellen und Glocken, die seit der Pariser Weltausstellung 1889 en vogue waren, driftet das Publikum ins Exotische. Und dann ein Star des Abends: das Kontrafagott. Das tiefste Instrument der Holzbläser brummelte das Biest-Thema zum grazilen Walzerthema der Schönen (Klarinette). Das Instrument der Engel, die Harfe, bricht den bösen Zauber, und das Fagott-Biest verwandelt sich in einen Geigen-Prinzen, der schlafende Wald in einen Feengarten. Auch das wird sich später in einem Disney-Musical wiederfinden. 

Selten erlebt man konzertante Momente, die Räuspern und Rascheln im Publikum einfach einsaugen und nichts als bewegende Stille und Ehrfurcht transportieren. Die Mittelsächsische Philharmonie zauberte dieses Glück mit Mahlers 4. Sinfonie in die Nikolaikirche. Im 3. Satz stellt Mahler den ewigen Schlaf als innige erlösende Figur in den Raum. Man war ganz bei sich selbst. Hier und da wurde ein Taschentuch gezückt. Mahler selbst sagte, der sinfonische Weg zum Paradies führe über das kindhaft Einfache. Durch den 1. Satz tanzt der Bi-Ba-Butzemann. Im 2. Satz sägt die um einen Ton hochgestimmte Fidel als Gevatter Tod am idyllischen Treiben. Nach der von Lindsay Funchal gesungenen Aussicht auf die himmlischen Freuden verklingt Mahlers 4. Sinfonie mit einem tiefen Kontrabass-E im Pianissimo. Puh!

Nun verhält es sich mit Musik ja so wie mit jeder anderen Kunst. Sie wirkt auf das Publikum und erzeugt eine Resonanz auf persönlich Erlebtes, Erträumtes, Erhofftes. Jeder, der am Donnerstag dabei war, kann seine eigene Geschichte erzählen. Aber die meisten gingen voller Glück und Zuversicht nach Hause.

Alle Fotos: Elke Hussel