Geschafft! Wir sind Papst!

Am 16. März (2024) feierte das deutsche Musical nach amerikanischer Literaturvorlage seine Premiere in der Freiberger Nikolaikirche.

Auch die bereits fünfte Aufführung am 26.3. war ausverkauft – ein Beweis dafür, dass so ziemlich alles richtig gemacht wurde.

Alle Pfunde, mit denen das Freiberger Theater wuchern kann, wurden in die Aufführungswaagschale geworfen: Eine Unmenge an Personal aus allen Sparten – Musical – Oper – Schauspiel – und eine grandiose Philharmonie-Auskopplung unter Leitung des so jungen wie souveränen Bennet Eicke.

Die Legende um die Päpstin Johanna, die im 9. Jahrhundert mit den Gaben eines offenbar außergewöhnlich hohen IQ und bedingungsloser Empathie den heiligen Stuhl Petri besteigt, wurde über die Jahrhunderte weitererzählt und immer wieder verändert. Wer das dicke Buch oder den langen Film hierzu kennt, konnte sich im Vorfeld schon ein bisschen sorgen, wie ein derart komplexer Stoff in einem Musical münden soll.

Die gute Nachricht: Es wurde beherzt und gekonnt gekürzt. Die Beamer-Installation funktionierte für das Publikum mit wechselnden Jahres- und Ortsangaben wie ein GPS. Als Zuschauer wusste man immer, an welchem Ort und zu welcher Zeit die Handlung unterwegs war.

Besonders beeindruckend war für mich die Leistung des Freiberger Ensembles. Bis in die kleinste Rolle waren alle Figuren stimmlich herausragend besetzt. Allen voran natürlich Anna Burger, der die Gratwanderung zwischen verletzlicher Johanna und stimmlicher Präsenz überzeugend gelang. Frank Blees durfte als Aeskulapius endlich mal in einer Rolle brillieren, die wie für ihn gemacht schien. Selbst die Primadonnen des Freiberger Theaters, Susanne Engelhardt und Beomseok Choi, bewiesen Teamgeist mit ihrer intensiven Interpretation von Nebenfiguren (Johannas Eltern).

Angus Simmons und Yannick Gräf lieferten schauspielerisch und stimmlich großes Kino. Alexander Donesch, der die Herzen des Freiberger Publikums als Schauspieler, Musicaldarsteller und Regisseur längst auf seiner Seite weiß, kämpfte sich angeschlagen als ritterlicher Gerold tapfer durch den Abend. Auch hier wurde wieder eine ganze Menge Teamgeist spürbar.

Die Regie ließ Johanna auf ihrer Reise von zwei menschengroßen Raben mit beeindruckend großen schwarzen Flügeln begleiten. Sie fungierten als von der Mutter gesandte Schutzengel, Symbole der Weisheit und während der Aufführung ganz praktisch als helfende Hände (Flügel).

Hier sollte die Rezension eigentlich enden.

Die Päpstin in Freiberg

Johanna als Bruder Johannes Anglicus und Aeskulapius

Ich persönlich hätte mir einen etwas weniger plakativen Abend gewünscht. Dass die Textvorgaben nicht pulitzerpreisverdächtig sind – das lässt man bei einem Musical vielleicht noch durchgehen. Aber auch die Regiearbeit wirkte wie eine willkürliche Aneinanderreihung von überstrapazierten Klischees. Warum muss über dem Gesang der Cäsarin von Rom, die mit dem horizontalen Gewerbe Politik macht, ein pornografisches Fresko leuchten? Auch die Positionierung zur katholischen Kirche könnte man als durchaus ambivalent bezeichnen. Einerseits wird im Orgienreigen am Dorstädter Bischofssitz kein Detail ausgespart, obwohl das Verhältnis von Kirche und Sexualität ein jahrtausendealtes wie furchtbar aktuelles Drama ist. Andererseits wird sich hemmungslos an christlicher Symbolik bedient: Johanna stirbt am Altar der Freiberger Petrikirche, und steht am Ende als Statue auf dem Hochaltar, beleuchtet von golden-heiligem Licht. 

Etwas Fingerspitzengefühl hätte dem Stück nicht geschadet.

Vielleicht wird das Musical aus dem Jahr 2011 nicht ohne Grund gerade überarbeitet. Für den Musical-Sommer 2024 in Fulda wird eine abgewandelte Version mit neuen Szenen und Liedern erwartet. Auch gegenwärtig muss offenbar das Erzählen einer Legende an gesellschaftliche Realitäten angepasst werden.

Aber summa summarum ist das Jammern auf hohem Niveau.

Das hochkarätige mittelsächsische Ensemble ist immer einen Theaterbesuch wert, und die hohen Zuschauerzahlen sprechen für sich. 

Weitere Aufführungen am 28. und 30. März, sowie am 1. und 2. April.

Fotos: Detlev Müller, Mittelsächsisches Theater